Anna Krekora
Anna Krekora wohnt in einem kleinen Dorf in Ostpolen, und da sie nicht mit der Gruppe der Warschauer Genshagenerinnen in Kontakt war, konnte Helmuth Bauer sie für seine Arbeit nicht finden. Aber die Familie von Anna Krekora konnte Helmuth Bauer finden, der dem folgenden Brief mit Freude entnahm, welche Brücken sein Buch auch ohne sein weiteres Zutun bauen kann.
Brief von Urszula Cz. an Helmuth Bauer
Helmuth Bauer und die Großnichte von Anna Krekora, Urszula, verabredeten sich zu einem Besuch bei ihrer Großtante,in der Familie „Hanka” genannt, mit dem Ziel, sie über „Die Frauen im KZ-Außenlager Genshagen” zu informieren, und über weitere Erinnerungen an den „Meister” vielleicht dessen Familie in Hamburg noch finden zu können. Für die Vorgespräche hatte Urszula bereits bekannte Erinnerungen von Hanka nach dem Muster im Buch „Innere Bilder wird man nicht los” vorgelegt.
Anna Krekora, geborene Ziemba, nahm am Warschauer Aufstand teil und wurde am 07.09.1944 von Pruszków nach Ravensbrück und am 11.10.1944 nach Genshagen verschleppt.
Im Waggon
In einem überfüllten Güterwaggon, ohne Wasser und Essen. Besonders schlimm die hygienischen Bedingungen. Nur ein Eimer für die Notdurft. Schamgefühle. Sie versucht, lange auszuhalten, damit sie ihre Notdurft nicht verrichten muss. Bauchschmerzen.
Ravensbrück
Hanka trägt Ohrringe. Nach der Ankunft in Ravensbrück soll sie sie abnehmen. Das dauert der Aufseherin zu lange und sie zieht so heftig an den Ohrringen, dass Hankas Ohrläppchen reißen.
Fabrik
Sie baut Motorteile zusammen. Ein Meister, ein 72jähriger Mann aus Hamburg, der magenkrank ist, zeigt Mitgefühl und hilft ihr, wo er kann. Er bringt Hanka manchmal Essen aus der Kantine, in Papier eingewickelte Kartoffeln oder Buchweizen. Manchmal lässt der Meister sie sich kurz hinlegen und passt auf, dass sie nicht entdeckt wird. Tiefe menschliche Erfahrung. Zuneigung von einem Deutschen. Dankbarkeit fürs Leben. Sie betet für ihn.
SS und Aufseherinnen
Angst vor SS-Männern und Aufseherinnen. Große Angst vor Appellen, wo sie dann alle sieht.
Einmal wird Hanka dabei erwischt, dass sie sich Papier unter ihre Kleidung als Schutz vor Kälte gesteckt hat. Die Aufseherin bringt sie zu den SS-Männern in eine Stube. Der Raum ist warm. Es ist Abend und es gibt eine Feier. Hanka hat Todesangst. Sie soll zur Strafe aber „nur” ein paar Prügel bekommen, weil die SS-Männer guter Laune und angeheitert sind. Sie wird von einer Aufseherin vor die Tür gezerrt und dort ganz schlimm zusammengeschlagen.
Häftlingsgesellschaft
Maria Rygielska, eine Frau von etwa 30 Jahren, hilft und tröstet Hanka, die damals 18 Jahre alt ist.
Noch einige Jahre nach dem Krieg schreiben sich die beiden Frauen Briefe.
Hanka selbst hat einen „Schützling”, ihre jüngere Cousine, Stasia (Stanisława Miturska), die 16 Jahre alt ist. Die Eltern der Cousine haben im Krieg bereits ihre zwei Söhne verloren und so ist Stasia ihr einziges Kind. Hanka fühlt sich für ihre Cousine verantwortlich und nimmt sich fest vor, sie zu ihren Eltern heil zurückzubringen. Sie denkt sich, sie dürfe nicht sterben, sonst sei ihre kleine Cousine allein. Wenn ihre Stasia gestorben wäre, hätte sie auch nicht mehr leben wollen.
Essen – Trinken – Hunger – Durst
Dünne Rübensuppe. Dünner Kaffee. Für geklaute Kartoffel-schalen wird sie wieder schlimm zusammengeschlagen. Hanka verliert während der Zeit im Lager fast die Hälfte ihres Gewichts. Am Ende des Krieges wiegt sie knapp 30 Kilo. Als sie nach Hause zurückkehrt und in der Tür steht, erkennt ihre eigene Mutter sie nicht.
Krankheiten und Sterben
Die Aufseherinnen rufen: „Pakete sind gekommen, große Pakete für euch alle! Holt sie ab!”. So eine Überraschung, so eine Freude. So eine Neugier. Alle stürmen nach draußen. Da sehen sie sie im Draht hängen. Drei Frauen.
„Da habt ihr eure Pakete. Wenn ihr versucht zu fliehen, seid ihr tot.”
Einmal begraben die Frauen ihre tote Kameradin heimlich am Zaun. Kein Kreuz. Wie einen Hund.
Helmuth Bauer hat zusammen mit ihrer Großnichte Anna "Hanka" Krekora, geb. Ziemba im Juli 2015 in Ostpolen aufgesucht, und ein Interview aufgezeichnet.
Gespräch von Urszula und Helmuth Bauer mit Hanka am 10.07.2015 in Zajezierze (Polen)
Urszula: Wir wissen nicht, ob wir die Familie des Meisters finden werden. Wenn uns das aber gelingen sollte, würden wir ihr diese Aufnahme vorspielen. Du kannst jetzt also so sprechen, als würdest du zu seiner Familie sprechen. Es wird alles aufgenommen.
Hanka: Ich weiß nicht, was ich alles sagen soll. Ich kann nur danken, dass er so ein guter Mensch war.
Urszula: Du kannst jetzt einfach das sagen, was du mir früher immer erzählt hattest. Was du uns auch heute schon über ihn erzählt hast. Das werden wir dann der Familie vorspielen.
Hanka: Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Er war so gut zu mir. Nach dem Krieg habe ich immer für ihn gebetet. Wirklich, er war so gut zu mir. Ich fühlte mich bei ihm geborgen. Er war für mich wie jemand aus meiner Familie. Was kann ich denn mehr sagen, meine Liebe? Er musste uns dort beaufsichtigen und ich musste arbeiten, weil es ja ein Arbeitslager war. Ich hoffe, er hatte ein gutes Leben, ich wünsche ihm alles Gute, wo auch immer er ist. Ich hoffe, er ist jetzt bei Gott im Himmel.
Urszula: Vielleicht weiß man in seiner Familie nicht viel darüber, wie er dir geholfen hat. Möchtest du vielleicht erzählen, was er alles für dich getan hat?
Hanka: Was konnte er schon machen: Ich musste ja arbeiten, er musste mich beaufsichtigen. Aber als mich einmal eine Aufseherin ganz schlimm geschlagen hatte, musste er fast weinen. Ich habe gesehen, er hatte Tränen in den Augen und sagte „mein Gott, mein Gott“. Es tat ihm sehr leid, dass sie mich geschlagen hatte. Ich weiß, dass es für ihn schlimm war, dass ich so jung war, noch ein Mädchen, und schon so viel leiden musste. Deswegen werde ich immer nur gut über ihn reden.
Urszula: Du hast erzählt, dass er für dich auch Essen geschmuggelt hat?
Hanka: Ja, ja! Er hat mir Essen mitgebracht. Da war eine Kartoffel oder Buchweizen, eingewickelt in Papier. Ohne ihn hätte ich niemals so etwas essen können. Brot hat er nicht mitgebracht, das hat er wahrscheinlich in der Kantine selbst aufgegessen.
Urszula: Du hast auch erzählt, er hätte zu dir gesagt, du darfst dich hinlegen und ausruhen?
Hanka: Ja, als mich die Aufseherin zusammengeschlagen hatte, hat er gesagt, ich solle mich auf einen Sessel hinlegen und ausruhen. Ich wollte zuerst nicht, aber dann hat er gesagt, er werde auf mich aufpassen.
Urszula: Hat er das so gesagt?
Hanka: Ja, er hat gesagt, er passt auf, falls jemand kommt. Dann habe ich mich hingelegt. Aber natürlich nur kurz, danach bin ich aufgestanden. So war das. Er war ein sehr guter Mensch. Was soll man da noch mehr sagen? Er war ein guter Deutscher und er hatte Mitgefühl. Ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen. Absolut nichts.
Aber die Aufseherin war schlimm. Sie hat mich so schlimm geschlagen. Als sie entdeckte, dass ich am Rücken unter der Kleidung Papier hatte, hat sie das Papier wütend hervorgeholt, mich am Kragen gepackt, geschlagen und heftig geschüttelt. Wir legten uns dickes Papier unter die Kleidung, damit es uns etwas wärmte. Ja, so war das. Was kann ich mehr sagen?