Frieda Franz Malter
"Es fehlt manchmal noch was im Leben"
"Schön, dass Ihr noch mal gekommen seid", sagte Friedel Malter im Oktober 1994, als sie mit Ágnes, Éva und Judith nach fast 50 Jahren zum ersten Mal wieder zusammen traf, "es fehlt manchmal noch was im Leben." Die Ungarinnen waren einer Einladung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück (MGR) zum „50. Jahrestag der Deportationen aus Ungarn“ gefolgt.
Wir haben die Frauen aus dem KZ-Außenlager Daimler-Benz-Genshagen damals einige Tage mit der Kamera begleitet, und den Film "Es fehlt manchmal noch was im Leben" genannt. Friedel hatte so präzise wie gefühlvoll ausgedrückt, was die späte Wiederbegegnung für die Frauen bedeutete. Sie haben sich nach April 1995 zu jedem „Jahrestag der Befreiung“ wieder getroffen. 1999 war Friedel noch bei den Auseinandersetzungen mit den Herren von Daimler-Benz um "Lohn und Würde" im Hotel am Wentowsee dabei. Im Jahr 2000 war sie dann schon zu müde zu solchen Unternehmungen. So habe ich der 98-jähringen dann in ihrem Seniorenheim in Zepernick berichtet, und die Grüße „ihrer Genshagenerinnen" überbracht.
Am 15. Dezember 2001 ist Friedel Malter gestorben.
Gestorben ist Friedel, wie sie gelebt hat. Morgens war sie noch bei der Hausfriseuse, sich schön machen lassen. Der Termin war ihr wichtig gewesen, Weihnachten stand vor der Tür. Abends hat sie wie gewohnt für sich in ihrem kleinen Zimmer ihr Abendbrot gegessen. Nachts ist sie gestorben.
Friedel habe ich im Herbst 1990 kennen gelernt. Ich kam aus dem Westen und suchte nach Frauen, die in der uns jetzt zugänglich gewordenen Genshagener Heide hatten Zwangsarbeit für Daimler-Benz leisten müssen. Gertrud Müller hat meinen Aufruf in den "Ravensbrücker Blättern" abgedruckt, und Friedel schrieb, der Herr Dr. Bauer könne sie im Clara-Zetkin-Heim in Friedrichshagen finden. Für den Film "Der Stern und sein Schatten" hat Friedel als ehemalige Schreiberin des SS-Kommandanten nicht nur die große Überschau gegeben, sie erzählte uns auch zum ersten Mal von der Bildhauerin Edit Kiss, der sie in Genshagen das Leben gerettet hat, und die nach ihrer Heimkehr nach Budapest die 30 Gouachen des "Album Deportation" gemalt hat. Die lebensrettende Freundschaft im Lager zwischen der jüdischen Ungarin und der deutschen Kommunistin hatte jedoch keine Zukunft: Als Edit Kiss 1947 in den Westen emigrierte, brach der Kontakt ab.
Friedel war am 4. Mai 1945 in der Prignitz aus dem Todesmarsch geflohen. "Wir waren frei. Mit noch drei aus meiner Gruppe kamen wir in Wittenberge an. Ich meldete mich im Rathaus, eigentlich nur, um Lebensmittelkarten zu erhalten. Man sagte mir, in meine Heimatstadt Breslau könnte ich sowieso nicht zurück. Der sowjetische Stadt-Kommandant beauftragte mich, das Ernährungsamt zu übernehmen. Ich lehnte erst einmal ab. Ich sei Weberin und verstehe nichts von Verwaltungsarbeit... ‚Sie sollen dafür sorgen, dass die Menschen nicht verhungern. Und dabei werde ich Ihnen helfen‘. So wurde ich, wie so viele andere, ein Aktivist der ersten Stunde. Im Juli 1945 begannen wir in Wittenberge mit der Bildung von Ortsgruppen der KPD. Ich hielt in mehreren Gründungsveranstaltungen das Referat..."
Friedel konnte wieder offen für ihre Lebensaufgabe wirken. 1902 geboren, leitete sie schon 1931 die Frauenabteilung der schlesischen KPD und wurde 1932 in den Preußischen Landtag gewählt. Am 14 Juni 1933 wegen antifaschistischer Tätigkeit verhaftet, wurde Friedel am 15. August 1934 vom Volksgerichtshof „wegen Hochverrat“ zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach ihrer Haft im Zuchthaus Jauer wurde sie noch bis 1938 in Moringen und in der Lichtenburg in "Schutzhaft" gehalten. Nach Genshagen war Friedel 1944 "zur Strafe" überstellt worden, weil sie im KZ-Außenlager Auer sich schützend vor russische Mädchen gestellt hatte. Auch alle Genshagenerinnen erzählen mit großer Dankbarkeit von Friedel in Genshagen.
4 Wochen vor ihrem Tod haben Ágnes Bartha, Elke Wahls und ich Friedel besucht. Zu Elke, deren Mutter Henriette "Mariechen" Schneemann seit 1944 in Genshagen verschollen ist, hatte ich gesagt: "Wenn jemand Deine Mutter in Genshagen gekannt hat, und gut zu ihr war, dann Friedel".
Helmuth Bauer
Vgl. auch: "Friedel Malter - Eine politische Biographie" Diplomarbeit von Katharina Barnstedt; sowie das Kapitel über Friedel Malter von ders. und Katja Scheel in „Gewerkschafter in den KZ's von Oranienburg und Sachsenhausen“. Biographisches Handbuch. Hsg. Siegfried Mielke, Berlin 2002.
Filme von Helmuth Bauer mit Friedel Malter und den Genshagenerinnen: "Der Stern und sein Schatten", "Es fehlt manchmal noch was im Leben" und "Reise zum Ort des Schmerzes" sind - wie auch die Diplomarbeit - im Archiv der MGR vorhanden.